Insights – Lebensmittelabfälle
27. Mai 2024Die Reduktion von Lebensmittelabfällen ist heute politisch und gesellschaftlich ein immer wichtigeres Thema – mit Blick auf den Ressourcenschutz ebenso wie zur CO2 Vermeidung. Dabei spielen Produzenten, Industrie, Handel und Verbraucher gleichermaßen eine Rolle und das Thema hat vielfältige und teils komplexe Ursachen. Als internationaler Großhändler hat sich METRO im Rahmen seiner ESG-Strategie verpflichtet, auf allen Stufen der Wertschöpfungskette gegen die Verschwendung von Lebensmitteln vorzugehen und die im eigenen Geschäftsbetrieb anfallenden Lebensmittelabfälle bis 2025 um die Hälfte zu reduzieren. Wir wollten wissen, wo wir aktuell stehen, was der Großhandel zur Problemlösung beitragen kann und welche Maßnahmen am wirkungsvollsten sind.
„Wir spielen eine wichtige Rolle bei der Problemlösung“
Als Head of Carbon & Climate bei der METRO AG ist Lena vom Stein u. a. für die Vermeidung bzw. Reduktion von Lebensmittelabfällen des Großhändlers verantwortlich, was ein zentrales Handlungsfeld im Bereich Corporate Responsibility (CR) darstellt. Wir sprachen mit ihr über die globale Relevanz und Dimension des Themas, die Strategie und Handlungsfelder von METRO sowie die Rolle von Partnerschaften und neuen Technologien.
Lebensmittelverschwendung ist eine Herausforderung, die alle angeht und gemeinsames Handeln erfordert. Wie dringend ist diese Herausforderung?
Lebensmittelverschwendung ist heute zweifellos weltweit eine große Herausforderung mit weitreichenden Folgen für Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft. Nach Branchendaten werden jährlich etwa ein Drittel aller für den menschlichen Verzehr produzierten Lebensmittel weggeworfen – das sind weltweit rund 1,3 Milliarden Tonnen. Diese Abfälle entstehen auf verschiedenen Stufen der Wertschöpfungskette von Lebensmitteln – von der Produktion, der Verarbeitung und über den Handel bis zum Verbrauch – und sie sind für 10 % der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Allein in der EU wurden im Jahr 2021 fast 59 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle (131 kg/Einwohner) erfasst.
Das Thema steht also ganz oben auf der Agenda von Politik und Wirtschaft?
In der Tat. Aus rechtlicher Perspektive haben viele Länder und Regionen die Dringlichkeit des Problems der Lebensmittelverschwendung erkannt und Vorschriften und Maßnahmen erlassen, um die Verschwendung einzudämmen. So hat sich die Europäische Union zum Ziel gesetzt, die Lebensmittelverschwendung bis 2030 um 50 Prozent zu reduzieren. Auch auf globaler Ebene wollen die Vereinten Nationen im Rahmen ihrer Sustainable Development Goals (SDGs) die Lebensmittelabfälle im Handel und bei den Verbrauchern bis 2030 halbieren. Die Unternehmen stehen daher unter wachsendem Druck, die Lebensmittelverschwendung zu bekämpfen, nicht nur aufgrund gesetzlicher Vorschriften, sondern auch aufgrund veränderter Kundenerwartungen und Initiativen zur sozialen Verantwortung von Unternehmen.
Welche Rolle spielen hierbei Lebensmittelhändler wie METRO?
Im Vergleich zu anderen Branchen ist der Anteil des Handels an der Lebensmittelverschwendung geringer als der des produzierenden Gewerbes oder der Haushalte (siehe Grafik EU-Lebensmittelverschwendung 2021). Dennoch spielt er aber eine wichtige Rolle bei der Problemlösung und Lebensmittelhändler wie METRO haben die Chance, mit ihrem Know-how, ihren Ressourcen und ihrem Einfluss in der Lebensmittel-Lieferkette einen spürbaren Unterschied im Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung zu machen.
METRO hat sich zum Ziel gesetzt, die Lebensmittelverschwendung bis 2025 zu halbieren. Wie will METRO dieses Ziel erreichen?
Unsere Strategie zur Reduzierung von Lebensmittelabfällen basiert auf drei Säulen: Erstens ist uns Transparenz sehr wichtig, weshalb wir uns öffentlich ehrgeizige Ziele setzen. Damit verbunden ist unser Bemühen, jeweils die bestmöglichen Daten sowie gemeinsame Standards zu nutzen, um unsere Fortschritte zu überwachen, zu steuern und darüber zu berichten.
Zweitens sind wir ständig auf der Suche nach Technologien und Lösungen, die uns helfen, unsere Ziele zu erreichen. Dabei prüfen wir sorgfältig, ob diese Lösungen bei uns umsetzbar sind und passen sie gegebenenfalls an unsere Geschäftsprozesse an.
Nicht zuletzt wollen wir unsere Kunden und Partner im Hotel- und Gaststättengewerbe dabei unterstützen, Lösungen einzusetzen, die nicht nur Ressourcen und Kosten sparen, sondern auch einen gesellschaftlichen Beitrag leisten. Entlang der gesamten Wertschöpfungskette des Großhandels, von unseren Lieferanten bis zu den Kunden, tauschen wir uns deshalb über Best Practices aus und suchen Partnerschaften, die neben wirtschaftlichen Aspekten auch eine gesellschaftliche, soziale oder ökologische Relevanz haben.
Und wie reduziert METRO konkret seine Lebensmittelabfälle im operativen Betrieb?
Wir orientieren uns an der Hierarchie der Lebensmittelverwertung, die von der US-Umweltschutzbehörde als Leitfaden festgelegt wurde. Dabei legen wir großen Wert darauf, bereits früh im Prozess Maßnahmen zu etablieren, die Lebensmittelüberschüsse an den potenziellen Quellen vermeiden oder zumindest minimieren. Dazu gehören die Optimierung der Prozesse in den Märkten, das Bestell- und Lieferkettenmanagement, die strukturierte Sortimentssteuerung und -optimierung sowie die Zusammenarbeit mit den Lieferanten (z. B. bei Nachernteverlusten) und die Förderung von Produkt- und Technologieinnovationen. Zugleich bemühen wir uns durch unsere engen Partnerschaften mit Tafel-Organisationen in 19 Ländern, so viele überschüssige Lebensmittel wie möglich zu spenden, um Abfälle zu vermeiden.
Was sind aus Sicht des Großhandels die größten Herausforderungen und wie werden diese angegangen?
Die größte Schwierigkeit für uns als Händler bei der Reduzierung von Lebensmittelabfällen ist es, auf der einen Seite dafür zu sorgen, dass jederzeit genügend Produkte verfügbar sind und auf der anderen Seite Überbestände zu vermeiden – oder anders ausgedrückt, das Gleichgewicht zwischen wirtschaftlichem Wachstum und einer gezielten Abfallverringerung herzustellen.
Dies erfordert eine Zusammenarbeit entlang der gesamten Lieferkette. Denn die Kooperation von allen wichtigen Akteuren einschließlich Herstellern, Lieferanten, Händlern und Kunden ist entscheidend für die Umsetzung nachhaltiger Prozesse, die Optimierung des Ressourcenverbrauchs und die Minimierung des CO2-Fußabdrucks von Produkten und Dienstleistungen. Durch die Förderung von Partnerschaften und gemeinsamem Nachhaltigkeitsinitiativen können Unternehmen große Potenziale für die Förderung von Wirtschaftswachstum und Umweltschutz gleichermaßen freisetzen.
Inwieweit werden neue Technologien und digitale Lösungen eingesetzt, um Lebensmittelabfälle zu reduzieren?
Digitale Lösungen spielen eine große Rolle, um unsere Ziele bei der Reduzierung von Lebensmittelabfällen zu erreichen. Ein gutes Beispiel ist die Lösung des Unternehmens Wasteless, deren Technologie die Preisgestaltung für verderbliche Lebensmittel optimiert, indem sie einen KI-gesteuerten Algorithmus einsetzt, um Preise automatisch festzulegen. Voraussetzung dafür ist die Integration des Mindesthaltbarkeitsdatums (MHD) in die Barcodes. Dies unterstützt auch die automatische MHD-basierte Bestandsführung und reduziert den manuellen Aufwand. Mit attraktiven und transparenten Rabatten, die sich nahtlos in die Warenwirtschaftsprozesse integrieren lassen, helfen wir so unseren Märkten, Lebensmittelverschwendung zu vermeiden. Gleichzeitig sparen unsere Kunden Geld, indem wir Anreize für ein nachhaltigeres Einkaufsverhalten schaffen.
Ein weiteres gutes Beispiel ist „Too Good To Go“, eine Lösungen, die insbesondere unseren Kunden in der Gastronomie hilft, Lebensmittelabfälle zu reduzieren. Too Good To Go funktioniert über eine App, über die Unternehmen überschüssige Lebensmittel zu einem vergünstigten Preis den Nutzern zur Verfügung stellen können. Auf diese Weise werden keine Mahlzeiten mehr verschwendet und Lebensmittel weggeworfen.
Wird auch Künstliche Intelligenz dabei eine wichtige Rolle spielen?
Generell kann KI in der gesamten Lebensmittelversorgungskette eingesetzt werden, um Prozesse zu optimieren, die Prognosegenauigkeit zu verbessern und Möglichkeiten zur Abfallreduzierung zu erkennen. Nehmen wir das Beispiel Frischeprodukte: Wir haben viele gut ausgebildete Kolleginnen und Kollegen in unseren Märkten, die ihr Sortiment und das Kaufverhalten ihrer Kunden sehr gut kennen – denn gerade bei Ultrafrische-Produkten basiert die Bestellung oder Nachbestellung von Waren stark auf Erfahrung und einem guten „Bauchgefühl“. KI-gestützte Technologie kann die Experten hier allerdings noch weiter unterstützen: Verkaufsdaten, Wettermuster, Baustellen vor dem Restaurant und andere Faktoren werden analysiert, um die Nachfrage noch genauer vorherzusagen und die Wahrscheinlichkeit von Überbeständen bei verderblichen Produkten so noch weiter zu verringern.
Wo Lebensmittelabfälle in der Lieferkette entstehen und wie METRO dagegen vorgeht
Im Vergleich zu anderen Wirtschaftssektoren wie der Lebensmittelproduktion, dem Gastgewerbe oder den privaten Haushalten zeichnet der Lebensmittelhandel laut Statistik nur für einen relativ kleinen Anteil der gesamten Lebensmittelabfälle verantwortlich. Dennoch spielt er eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, das Problem anzugehen und zur Reduzierung und Vermeidung von Lebensmittelabfällen beizutragen. Grundsätzlich gibt es 5 Hauptursachen, die zu potenzieller Lebensmittelverschwendung führen können. So tragen beispielsweise Ineffizienzen in der Lieferkette wie eine schlechte Lagerverwaltung oder unzureichende Qualitätskontrollen zu potenziellen Lebensmittelabfällen und damit zur Verschwendung bei. Auch fehlerhafte Verpackungen machen Lebensmittel anfälliger für Transportschäden und damit letztlich ungeeignet für den Verkauf oder Verzehr. Das Verfalls- bzw. Haltbarkeitsdatum ist eine weitere typische Ursache für Lebensmittelabfälle, da verderbliche Lebensmittel wie insbesondere Frischwaren wie Obst und Gemüse empfindlicher auf ihr Verfallsdatum reagieren. Und schließlich können schlechte Prognosen und ungenaue Planungen von Herstellern bzw. Händlern zu einer Überproduktion bzw. zu Überbeständen führen, wodurch Lebensmittel wahrscheinlicher zu Abfall werden.
METRO ist bestrebt, Lebensmittelabfälle in der gesamten Großhandels-Lieferkette zu minimieren, um einen positiven Beitrag zur Nachhaltigkeit und für die Gesellschaft zu leisten. Dabei gelten grundsätzlich nur Lebensmittel, die aus der Versorgungskette entfernt und der energetischen Verwertung oder Entsorgung zugeführt werden, als Abfall. Ziel von METRO ist es, durch eigene Maßnahmen und durch Partnerschaften zu verhindern, dass überschüssige Lebensmittel in diese beiden Kategorien gelangen.
Im operativen Bereich spielen dabei die ständige Optimierung der Wareneingangsprozesse, die Sortimentssteuerung sowie die enge Zusammenarbeit mit den Lieferanten eine wichtige Rolle, um eine ausreichende Bestands- und Regalverfügbarkeit sicherzustellen und gleichzeitig eine Überbevorratung zu verhindern. Ein Beispiel ist die Kooperation von METRO mit dem Start-up Freshflow, das mit Hilfe künstlicher Intelligenz die Beschaffungsprozesse für ultrafrische Produkte optimiert. Darüber hinaus wenden die METRO Märkte und das Belieferungsgeschäft dynamische Preisgestaltungsmethoden an, um einen proaktiveren Verkauf zu forcieren und Lebensmittelüberschüsse zu minimieren. So arbeiten bereits drei METRO Länder mit Too Good To Go zusammen, das über eine App überschüssige Lebensmittel zu reduzierten Preisen anbietet. Im Geschäftsjahr 2022/23 hat diese Kooperation mehr als 82.000 Mahlzeiten vor der Verschwendung „gerettet“. Schließlich unterhält METRO langjährige Partnerschaften mit Lebensmittelspende-Organisationen wie den Tafeln, um zu ermöglichen, dass überschüssige Lebensmittel einem sinnvollen Zweck für bedürftige Menschen zugeführt werden können. Gegenwärtig bestehen Partnerschaften mit lokalen Tafelorganisationen in 19 METRO/MAKRO Ländern, die im Geschäftsjahr 2022/23 Lebensmittelspenden im Wert von 63 Millionen Euro generiert haben.